Aufgaben der Dorfgeschichte

II. Die grundherrlich-bäuerlichen Verhältnisse in Lippe
von
Erich Kittel

In der Vorbemerkung zu unserer Aufsatzfolge wiesen wir darauf hin, daß die grundherrlich-bäuerlichen Verhältnisse das wichtigste innerpolitische Problem der Vergangenheit darstellen, und daß neben der Siedlungsgeschichte hier die wichtigsten Aufgaben jeder Dorfgeschichte liegen.

Die alten Verhältnisse vor den tief in das bäuerliche Leben eingreifenden Reformen des 19. Jhdts. waren völlig anders als in der uns bekannten Gegenwart.

Der Bauer war nicht alleiniger Herr seines Hofes, sondern hatte einen Grundherrn über sich, dem ein Teil des Ertrages in Gestalt von Abgaben und Diensten zufloß. Sein Besitz bestand nicht nur in den von ihm allein bewirtschafteten, zum Hof gehörigen Parzellen, sondern auch in Rechten an den der Gemeinde zugehörenden Weide- und Waldflächen, und selbst an seinen eigenen Grundstücken hatten andere Hutungsrechte. In seiner Wirtschaftsführung war er häufig bestimmten, von der Allgemeinheit festgesetzten Regeln unterworfen. Aus einer großen Anzahl von Gesetzen und Verordnungen und aus einer eindringenden Spezialliteratur kennen wir recht genau das lippische Höferecht, wissen wir, wie die Verhältnisse sein sollten. Wie sie wirklich gewesen sind, können uns nur einzelne Dorfgeschichten zeigen.

Die Grundherrschaft war vorhanden, soweit wir in die Vergangenheit zurückblicken können. Sie tritt uns in der ältesten Zeit in Form der Fronhofsverbände (Villikationen) entgegen, wie sie namentlich die Domstifter und Klöster ausbildeten (Paderborner Ämter Barkhausen und Heerse, Herford, Corvey). Im 13. Jhdt. verfiel die Fronhofsverfassung der Auflösung und an deren Stelle trat eine Vergabung der Höfe zu Meierrecht, d.h. in einem Pacht- bzw. Erbpachtverhältnis. Hatte bis dahin neben der Kirche und dem Landesherrn der Adel für die Grundherrschaft keine besondere Rolle gespielt, so wurde das nun anders, besonders als er nach dem Abklingen der Fehden mit dem Ende des Mittelalters aus den festen Städten und landesherrlichen Burgen aufs Land zog, und zu den alten festen Adelssitzen Iggenhausen und Braunenbruch im 16. Jhdt. neue Adelssitze und Rittergüter hinzukamen. Man hat berechnet, daß im 16. Jhdt. über 100 Bauernhöfe zur Errichtung von Rittergütern eingezogen worden sind. Ähnlich vermehrte sich die Zahl der landesherrlichen Meiereien. Wo in einem Dorf ein solcher Gutsbetrieb vorhanden ist oder gewesen ist, ist seine Entstehung und Entwicklung Gegenstand dorfgeschichtlicher Forschung.

Für den Bauern drohte so im 16. Jhdt. eine Verschlechterung seines Besitzrechtes, besonders des Erbrechtes, und eine Erhöhung seiner Dienste und Abgaben. Die Gefahr wurde im wesentlichen gebannt durch den von der Landesherrschaft ausgeübten Bauernschutz. Dieser konnte nichts an der Verminderung der eigenen Einnahmen infolge einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Bauernstandes liegen, und so dämmte sie das Bauernlegen ebenso ein wie sie einer willkürlichen Vermehrung der bäuerlichen Lasten durch Festlegung der grundherrlichen Rechte in den Salbüchern entgegenwirkte. Diese werden so zur wichtigsten Grundlage jeder Dorfforschung. Sie nennen uns die einzelnen Besitzer, das Zubehör der Höfe und die darauf liegenden Lasten. Sie begleiten uns durch die Jahrhunderte und gehen in unsere modernen Grund- und Hypothekenbücher über.

Unsere erste Frage gilt der ART der Höfe und ihren Unterscheidungen. Die Grundherrschaft umfaßte nicht Rechte am Grund und Boden, sondern auch an der Person. Die Zahl der alten Freien aus sächsischer Zeit hatte sich ständig vermindert und an ihre Stelle war eine Abhängigkeit verschiedener Abstufung getreten.

Das Zeichen der persönlichen Hörigkeit war vornehmlich der STERBFALL, die beim Tode des Besitzers an den Landesherrn zu zahlende Gebühr, während der WEINKAUF (sprachlich von winnen, gewinnen, nicht vom Wein abzuleiten) das Kennzeichen der grundherrlichen Abhängigkeit war und beim Besitzerwechsel gezahlt werden mußte.

Zu der nächst den eximierten Gütern am günstigsten gestellten Klasse erbeigener, in der Regel von Sterbfall und Weinkauf freier und nur zu gewissen Leistungen (etwa Freivogteigeld, Freischilling) verpflichteter Höfe gehörten die ursprünglich von der Grundherrschaft völlig freien Königsfreien (Freischöffen), die Amts- und Freimeier, die St. -Viti-Freien des Klosters Corvey (mit Zahlung des Todkleides), die Sattelfreien und die Hagenfreien, die anstelle des Sterbfalles die Kurmede bezahlten.

Danach kamen die leibfreien Erbmeier, die jedoch bei Besitzverän-derungen den Weinkauf zu zahlen hatten, und schließlich die zahlreichste Klasse der Eigenbehörigen. Nach der Größe der Höfe und der Art der Dienste unterschied man, in den einzelnen Ämtern in der Bezeichnung wechselnd, Voll- und Halbmeier (-spänner), Groß-, Mittel- und Kleinkötter, Hoppenplöcker und Straßenkötter.

In ein festes Schema nach dem Ertrag der Stellen wurden die Klassen nach der Katasterrevision in den Salbüchern von 1782 gebracht, wo man durch weitere Unterteilungen 11 Arten unterschied. Die ursprünglichen Verhältnisse sind durch zahlreiche Freikäufe verwischt worden, und es waren zuletzt gerade die neu angesiedelten kleinen Kötter und Hoppenplöcker, die leibfrei waren, während die älteren und größeren Höfe in der nur noch eine wenig drückende Geldzahlung darstellenden Hörigkeit verblieben, der dann 1808 die allgemeine Aufhebung des Leib- und Gutseigentums ein Ende bereitete.

Neben der Untersuchung dieser Verhältnisse und ihrer Entwicklung (etwa Folgen ungleicher Heirat) interessiert die Frage ob und wieweit der Grundherr in die Besitzverhältnisse eingegriffen hat, ob Abmeierungen erfolgt sind und gegebenen Falls mit welcher Begründung und in welchem Verfahren, wie weit das Erbrecht sich erstreckte (Interimswirt) und ob der Grundherr Einfluß auf die Besitznachfolge genommen hat. Fragen des Anerbenrechts und der Abfindung der übrigen Kinder (Brautschätze) und des weichenden Altbesitzers (Altenteil) gehören ebenso hierher wie der Abgrenzung des Hofzubehörs gegen das Erworbene und die bewegliche Habe, über die der Stelleninhaber frei verfügen konnte.

Von Bedeutung für die wirtschaftliche Lage des Bauern waren die dem Grundherrn zu leistenden

Hand- und Gespanndienste.

Das lippische Höferecht galt im 18. Jhdt. als sehr gemäßigt und gelinde. Die Dienstverpflichtungen schwankten etwa zwischen 2 Tagen in der Woche und 8 bis 14 Tagen im Jahr. Hier werden wir nach Art, Unterschieden in der Belastung der Höfe und vor allem nach Änderungen im Laufe der Zeit fragen.

Verwirrend vielfältig waren die Abgaben nach Bennenung und Höhe. Einiges wurde schon bei den Höfeklassen erwähnt. Der Sterbfall bestand wie später wie der Weinkauf aus einem Geldfixum. Beim Zehnten interessieren die Arten: (rauher Zehnt, Sack- oder Kornzehnt, Fleischzehnt, Rott- und Neubruchzehnt),

die verschiedene Belastung der Höfe und Grundstücke (nicht alles Land war zehntbar!)

und die Art der Eintreibung.

Weitere grundherrliche Abgaben waren: Pacht- oder Zinskorn, Zins- und Rauchhühner, Gänse, Enten, Eier und sonstige Zins- und Pachtgelder (Canon, Rentgefälle)

Öffentliche Abgaben waren ihrem Ursprung nach das Malvieh (Kühe, Schafe, Schweine) bzw. die stattdessen gezahlten Kuhgelder, die später privatrechtlichen Charakter annahmen, ferner das Malzgeld, die Jahresschätze, die Burgfestdienste.

Hauptsächliche öffentliche Steuer war die nach dem Steuerkataster zu entrichtende Kontribution - die Ertragsberechnung der Salbücher erfolgte ja zu deren Fixierung. Von jedem Taler der Taxe mußte ein Groschen gezahlt werden, doch konnte anstelle des "Simplum" durch Landtagsbeschluß ein mehrfacher Ansatz auferlegt werden.

Hinzu kamen noch Soldatenschatz, Hofgerichtssteuer, Türkensteuer, Kreissteuer, schließlich Leistungen an Pfarrer und Küster.

Die Ablösung aller grundherrlichen Abgaben und Dienste durch Renten- oder Kapitalzahlung ist 1838 gesetzlich geregelt worden.

Von Interesse für eine Dorfgeschichte ist besonders die Beantwortung folgender Fragen:

Welche Arten der Belastungen sind im Dorf üblich und wie verteilen sie sich auf die Höfe?

Welche Änderungen ergeben sich im Laufe der Zeit nach Art, Höhe und Verteilung?

Welchen Prozentsatz des Ertrages stellt die Belastung dar?

Ganz besonders aber ist festzustellen, wer denn nun Inhaber aller dieser grundherrlichen Rechte war. Es ist ja keineswegs so, daß der Bauer es grundsätzlich nur mit einem Grundherrn zu tun hatte,

daß Leibherr, Gutsherr, Zehntherr, Pacht- und Zinsherr, Dienstherr nur eine Person war. Es kann sein, daß der Landesherr alle Rechte besaß, aber die Regel ist doch eine Zersplitterung, die sehr weit gehen kann. Alle auftretenden Berechtigten und alle im Laufe der Jahrhunderte sich ergebenden Veränderungen gilt es sorgfältig zu beachten;

...daß eine Schilderung der Durchführung der Reformen des 19. Jhdts. und der durch sie erfolgten Änderung der bäuerlichen Verhältnisse jede Dorfgeschichte wird bringen müssen.

Die Reformgesetze von 1808 und 1838 wurden bereits erwähnt. Schon 1777 wurde eine Teilung der Gemeinheiten empfohlen (bes. die Huden). Die Durchführung erfolgte erst während der ersten Hälfte des 19. Jhdts.

Zur besseren Ausnutzung der Brache durch Anbau von Kartoffeln, Klee und Runkeln war man schon im 18. Jhdt. übergegangen. Die Aufhebung aller Hudegerechtsamen auf fremden Grund und Boden erfolgte 1850, wobei vorteilhafter Weise Hudeberechtigte an Forsten mit Grund und Boden abgefunden wurden, so daß hierdurch eine Vermehrung des Bauernlandes eintrat!

Startseite